Warum Sie beim Reizdarm nicht zu viel von Ihrem Arzt erwarten sollten und was Sie stattdessen dagegen tun können.

Ach, die Ärzte-Odyssee. Nahezu jeder alte Hase unter uns Reizdarm-Patienten weiß mit diesem Begriff etwas anzufangen. Zumeist ruft seine Aussprache eine Mischung aus Resignation, Wut und Frustration hervor. In selteneren Fällen ein wissendes Lächeln. Letzteres ist häufig aber erst dann der Fall, wenn die Erkrankung aller Widerstände zum Trotz bezwungen wurde und die Betroffenen genügend Abstand zu dem mit dieser verbundenen Leidensdruck finden konnten. 

Inzwischen gehöre auch ich zu diesen glücklichen Menschen und meine zahllosen (und meist enttäuschenden) Begegnungen in den Arztpraxen, Krankenhäusern und Universitätskliniken dieses Landes kommen mir heute schon beinahe surreal vor. Aber da es hier ja nicht um mich persönlich gehen soll und Sie vielleicht sogar zu den ganz frisch diagnostizierten Reizdarm-Betroffenen gehören, möchte ich das Phänomen der Ärzte-Odyssee erst einmal ganz allgemein beschreiben. 

Kennen Sie einen guten Arzt bei Reizdarm in meiner Nähe, Herr Struppe? Die Ärzte-Odyssee beim Reizdarmsyndrom.

Wie die meisten Erkrankungen wird das Reizdarmsyndrom in verschiedene Schweregrade unterteilt, um die Konsequenzen auf die Lebensqualität der Patienten, aber auch den notwendigen therapeutischen Aufwand abzuschätzen. Hierfür nutzen die Ärzte validierte Skalen wie den IBS-Symptom-Severity-Score (IBS-SSS) oder den Functional Bowel Disorder Severity Index (FBDSI). Anhand der Ergebnisse können die Patienten in drei Kategorien eingeordnet werden:

  • mildes Reizdarmsyndrom (IBS-SSS >75<175, FBDSI<36)
  • mittelschweres Reizdarmsyndrom (IBS-SSS >175<300, FBDSI >36<110)
  • schweres Reizdarmsyndrom (IBS-SSS>300, FBDSI>110)

Auch Sie lassen sich also einer dieser beschreibenden Gruppen zuordnen. Hat Ihr Arzt das mit Ihnen schon einmal durchgesprochen?

Sagen Sie nichts, ich kenne die Antwort (leider) bereits ... 

 

Was die Verteilung der Kategorien betrifft, handelt es sich bei Patienten mit einem schweren RDS, also jenen mit regelmäßigen starken Schmerzen, Durchfällen etc., um die kleinste Gruppe - die aber immerhin noch knapp ein Fünftel der Betroffenen ausmacht (Drossman et al.,2009). Zirka ein Drittel der Reizdarm-Patienten haben zwar eine RDS-Diagnose, leiden aber "nur" unter einer milden Ausprägung der Erkrankung. Die Beschwerden melden sich häufig nur ein- oder zweimal pro Woche, sind in ihrer Intensität sowie Dauer begrenzt und lassen sich oft ohne größeren Aufwand seitens der Betroffenen bewältigen. Die restlichen 50% der Patienten fallen zwischen diese beiden "Extrempole". Mit täglichen Bauchkrämpfen, Durchfällen, multiplen Nahrungsmittelunverträglichkeiten und zusätzlichen extra-intestinalen Symptomen gehörte ich übrigens, wenig überraschend, zu den schwer Betroffenen ... 

 

Aus meiner Beschreibung der Reizdarm-Schweregrade können Sie mit Sicherheit schon erahnen, dass nicht alle dieser Patienten die Hilfe von Ärzten benötigen. In der oben zitierten Studie von Dr. Douglas Drossman können Sie beispielhaft sehen, wie parallel zu den Beschwerden auch die Einschränkungen im Alltags- und Berufsleben mit den schwereren Ausprägungen des Reizdarms zunehmen. So gaben sage und schreibe 30% der schwer betroffenen Patienten an, aufgrund ihrer Erkrankung aktuell arbeitslos oder erwerbsunfähig zu sein (mild: 5%). Entsprechend dieses enormen gesundheitlichen und sozialen Drucks suchte diese Gruppe deutlich häufiger die Hilfe von Ärzten (im Durchschnitt nämlich sieben Ärzte in den letzten sechs Monaten - nur bzgl. RDS!) Klingt schon ein bisschen nach Ärzte-Odyssee, oder?

Aber wir sind noch nicht am eigentlichen Kern des Problems angelangt.

 

Auch weitere Untersuchungen zeichnen ein ganz ähnliches Bild, ergänzen dieses aber um einige zusätzliche Fakten: Nur etwa 60% der Reizdarm-Patienten suchen bezüglich ihrer Erkrankung den Rat eines Arztes (z.B. Tornkvist et al.,2021). Neben dem Schweregrad spielen vor allem auch das Geschlecht (Frauen suchen auch generell eher einen Arzt auf als Männer) und der Wohnsitz/Versicherungsstatus eine Rolle - der Zugang zu einem öffentlich finanzierten Gesundheitssystem erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Arztbesuches deutlich. 

Die gleichen Maßstäbe gelten laut weiteren Erhebungen übrigens auch für die Suche nach krankheitsspezifischen Informationen im Internet. Allein, dass Sie sich auf einer meiner Seiten herumtreiben erhöht also die Wahrscheinlichkeit, dass Sie an einer moderaten bis schweren Ausprägung unserer Erkrankung leiden! 

 

Erst mal ab zum Hausarzt!

Das Phänomen der Ärzte-Odyssee kann also gut durch Daten belegt werden. Außerdem erzeugt es enorme wirtschaftliche Kosten (Müller-Lissner & Pirk,2002; Tack et al.,2019 etc).

Aber die wichtigste Frage ist noch ungeklärt: Was treibt die Patienten dazu, ständig den Arzt zu wechseln? Warum finden diese nicht die Hilfe, die sie so bitter nötig hätten?

 

Werden Menschen in Europa erstmals dauerhaft von Darmbeschwerden geplagt (meist im jungen Erwachsenenalter und einige Monate nach einer Gastroenteritis), fragen sie nach einer variierenden Zeit des hoffnungsvollen Abwartens (Vielleicht verschwinden die Symptome ja wieder von selbst? Leider nein ...) typischerweise ihren Hausarzt (meist Allgemeinmediziner) um Rat. Nach einem Gespräch werden ein Stuhl- und Bluttest veranlasst, die Ergebnisse sind fast immer unauffällig - keine Zöliakie, keine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, keine Lebererkrankung. Fragende Gesichter auf beiden Seiten. 

Je nach Expertise und Charakter des Arztes entfaltet sich nun eines von mehreren Szenarien:

  • Der Arzt verkündet, dass der diagnostische Prozess abgeschlossen sei. Es liege keine schwere oder bedrohliche Erkrankung vor und der Patient müsse lernen mit den Beschwerden zu leben. Manchmal erhält der Betroffene einige Hinweise zu Ernährung, Stressmanagement oder möglichen Medikationen (Loperamid, Mebeverin, Flohsamenschalen etc.), deren Wirksamkeit allerdings nur selten von Dauer ist ... 
  • Der Arzt veranlasst weitere Diagnostik, um den Patienten bestmöglich zu unterstützen oder überweist diesen dafür an einen Gastroenterologen. Hier werden häufig Atemgastests bzgl. Dünndarmfehlbesiedlung, Laktose- und Fruktosemalabsorption, Stuhltests bzgl. Bauchspeicheldrüsenschwäche u.ä. Untersuchungen vorgenommen. 
  • Bei auffälligen Testergebnissen oder um den Patienten zu beruhigen erfolgt eine Endoskopie (Darmspiegelung - in Deutschland über 50% der designierten RDS-Diagnosen), die aber fast nie etwas an der ins Auge gefassten Diagnose ändert, wenn die Basisuntersuchungen ohne Ergebnis blieben (Chey et al.,2010). 

Und danach? Die Patienten sitzen nun einem Gastroenterologen gegenüber. Lange Gesichter - auf beiden Seiten. Die Tests führten zu keinen Ergebnissen. Gibt es einen Hinweis auf das Vorliegen bspw. einer Fruktosemalabsorption führt das Weglassen von Fruchtzucker nicht zur Verbesserung des Reizdarmsyndroms. 

 

"Gibt es nicht noch irgendetwas, was wir untersuchen könnten?"

"Nein, wir haben wirklich alles gemacht."

"Was kann ich dann gegen meine Beschwerden machen?"

"Sie müssen lernen, damit zu leben. Es gibt auch noch ein paar Medikamente, über die Ihr Hausarzt noch nicht mit Ihnen gesprochen hat - Amitriptylin zum Beispiel ..."

 

Privatsprechstunde bei Chefarzt Prof. Dr. Dr. Expertopolus

Wissen Sie was? Auch das Amitriptylin hat nicht geholfen! 

 

Und dennoch gelingt es den meisten Betroffenen nicht, sich frühzeitig aus dieser Spirale des Ärztewechselns zu lösen. Irgendwo muss es doch einen Arzt geben, der ihnen helfen kann! Nicht umsonst gehört die Frage nach einem guten Reizdarm-Arzt in der Nähe zu den häufigsten Mails, die ich von Leserinnen und Zuschauern erhalte. "Kennst du einen guten Arzt in München (Hamburg, Berlin ...), Thomas?" Nein, den kenne ich nicht!

Und das liegt nicht etwa daran, dass es keine guten Ärzte gäbe, sondern in allererster Linie am Charakter unserer Erkrankung und der Arbeitsweise unseres Gesundheitswesens. 

 

Typischerweise müssen die Betroffenen aber erst noch viele weitere Enttäuschungen erleben, bevor sie zu dem Schluss gelangen, dass sie sich selbst am besten helfen können. In den ersten Jahren meiner Patienten-Karriere war ich bei unzähligen Gastroenterologen, ließ viele Tests doppelt und dreifach durchführen, besuchte die Spezialsprechstunden von zwei Universitätskliniken und fuhr durch ganz Deutschland, um mit den angeblichen Experten auf dem Gebiet zu sprechen (was mich viel Geld, Nerven und Aufwand kostete). Doch auch ein Professortitel auf dem Namensschild brachte mir persönlich keine neuen Erkenntnisse und vor allem keine praktischen Ergebnisse. Mein Darm rebellierte munter weiter und ließ sich von akademischen Würden überhaupt nicht beeindrucken. 

 

So, oder zumindest ähnlich, ergeht es den allermeisten Patienten mit einem Reizdarm. Sie glauben mir vielleicht gar nicht, wie prallgefüllt die Aktenordner vieler Patienten sind, wenn diese sich bei mir vorstellen. Befunde von Spezialkliniken, Schreiben von Professoren, Empfehlungen von Immunologen - die Creme de la Creme des deutschen Gesundheitssystems. Allein: Es scheint nicht besonders geholfen zu haben, wenn ein Fitnesstrainer mit Erzgebirgsdialekt es nun richten soll ... 

 

Aber Spaß beiseite. Die Ärzte-Odyssee ist ein ernstzunehmendes Phänomen, hinter dem sich ein Problem von gewaltiger Tragweite verbirgt.

 

Reizdarm-Patienten sind enorm unzufrieden mit ihren Ärzten und deren Behandlungsansätzen

Die internationale Forschungsliteratur belegt: 

 

Reizdarmpatienten sind enorm unzufrieden mit der Kompetenz ihrer Ärzte

und auch mit deren Behandlung des Reizdarmsyndroms

(z.B. Dhaliwal & Hunt,2004Halpert & Godena,2011Sabate et al.,2020).

 

Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass sich die Ansichten über die Erkrankung, aber auch die Erwartungen bezüglich richtiger Diagnostik und Therapie, von Patienten und Ärzten nahezu diametral gegenüberstehen (Bijkerk et al.,2003Dixon-Woods & Critchley, 2000Sturkenboom et al.,2022). 

Und diese Einstellungen haben wiederum enorme Auswirkungen auf die ärztliche Praxis: Die von den Ärzten am häufigsten empfohlenen oder verschriebenen Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel sind jene, die von den Reizdarm-Patienten als am wenigsten hilfreich beschrieben werden (bspw. Rangan et al.,2020). Denken Sie vielleicht auch gerade an die Empfehlung, mehr und mehr Ballaststoffe zu konsumieren?

 

Die RDS-Betroffenen erwarten also konkrete Hilfestellungen, um ihre quälenden Beschwerden zu befrieden und ihre deutlich herabgesetzte Lebensqualität zu verbessern. Doch die behandelnden Mediziner kommen diesem Wunsch offenbar nur in den seltensten Fällen nach, was sogleich die nächste Frage aufwirft: Können oder wollen die Ärzte den Patienten mit einem Reizdarm nicht helfen? 

Vielleicht mag Ihnen diese Frage etwas töricht oder sogar anmaßend vorkommen. Tatsache ist aber, dass die moderne Wissenschaft inzwischen zahlreiche Wege kennt, um den Reizdarm nicht nur signifikant zu lindern, sondern sogar vollständig in Remission (=Heilung) zu bringen. In meinem Buch* beschreibe ich ausführlich mehrere Möglichkeiten. Hier nur exemplarisch einige Beispiele: 

  • Das Aufspüren und erfolgreiche Behandeln einer Dünndarmfehlbesiedlung (DDFB) führte bei 25% aller RDS-Probanden zu einer vollständigen Remission der Darmbeschwerden (Pimentel et al.,2000). Aber auch die nicht geheilten Teilnehmer der Studie erzielten starke Verbesserungen ihrer Symptome. Den besten Atemgastest zum Nachweis einer DDFB bequem in den eigenen vier Wänden gibt es übrigens hier* - mit meinem Code "heroes" (ohne Anführungszeichen) sparen Sie als mein Leser noch einmal 10€.
  • Das Beheben der für den Reizdarm typischen Dysbiose der Darmflora durch eine Stuhltransplantation (=Übertragung von Stuhl eines gesunden Spenders in den Darm eines Patienten via Endoskopie) führte nach drei Monaten zur Reduktion des Schweregradscores von über 300 (=schwer betroffen) auf 166 (=milde Ausprägung) - mehrere Teilnehmer erreichten die ersehnte Beschwerdefreiheit (El-Salhy et al.,2020). 
  • Vier Wochen einer spezifisch-formulierten stärkefreien und zuckerarmen Ernährung führte bereits nach einem Monat zu starken Verbesserungen der RDS-Darmbeschwerden. Sage und schreibe ein Drittel der Probanden erfüllte nach der Therapie nicht mehr die Kriterien zum Diagnostizieren eines Reizdarmsyndroms (Nilholm et al.,2019).

Und so könnte ich noch sehr lange weitermachen - Systemische Nickelallergie, Glutamin-Therapie, Gallensäureverlustsyndrom, SIFO, IMO, Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität, Mastzellhyperplasie ... Die Mechanismen des Reizdarmsyndroms sind inzwischen gut bekannt und seine Heilung nicht nur denkbar, sondern vielfach in qualitativ-hochwertigen, randomisierten und plazebo-kontrollierten Studien belegt. Auch auf meinem Hauptblog zeige ich immer wieder, dass eine effektive Reizdarm-Therapie möglich ist und erkläre minutiös und kostenfrei, wie Sie zu Ihrem Ziel gelangen. 

 

Ihren zweifelnden Blick kann ich gerade nur erahnen, aber sicherlich fragen Sie sich in diesem Augenblick: Wenn diese Dinge in der wissenschaftlichen Literatur doch so zweifelsfrei dokumentiert sind, warum kommt dann nur so wenig davon bei den Patienten an? Wieso haben Sie als Reizdarm-Patient unter Umständen noch nie etwas von der Sucrase-Isomaltase-Defizienz, der Systemischen Nickelallergie oder der Mastzellhyperplasie gehört?

 

Die einfache aber Sie vielleicht nicht befriedigende Antwort lautet: Weil Ärzte eben auch nur Menschen sind - mit allen Vorurteilen, voreiligen Schlüssen und geprägt durch ein bestimmtes Umfeld und selbst gemachte Erfahrungen. Im Zusammenspiel haben diese Faktoren, so belegt es die Forschung, katastrophale Konsequenzen für uns als Patienten.

 

Der Reizdarm: eine wenig reale Erkrankung mit überwiegend psychologischen Ursachen

Aus Sicht der modernen Wissenschaft ist das Reizdarmsyndrom eine "chronisch-entzündliche Darmerkrankung unter der Beteiligung spezifischer Immunzellen" (Philpott et al.,2011). Diese Perspektive dominiert die Forschung bereits seit über einem Jahrzehnt.

Doch was denken tatsächlich praktizierende Ärzte über unsere Erkrankung, also jene "Weißkittel", mit denen Sie und ich es in freier Wildbahn zu tun bekommen? 

 

Zuerst einmal sollte festgestellt werden, dass Mediziner zwei Perspektiven auf das Reizdarmsyndrom haben, die sich deutlich unterscheiden - eine öffentliche und eine private (Dixon-Woods & Critchley,2000). Während sich erstere eher mit Leitlinien und medizinischen Lehrbüchern deckt (Stichworte: funktionelle Erkrankung, Hirn-Darm-Achse usw.), ist die zweite geprägt durch persönliche Vorurteile und kritische Erlebnisse mit Reizdarm-Betroffenen. So lehnen die Ärzte häufig die Persönlichkeit und Verhaltensweisen von RDS-Patienten ab, die als fordernd, neurotisch und nur schwer zufrieden zu stellen wahrgenommen werden. Diese Zuschreibungen als folgsame oder aber rebellische Patienten resultieren dann nicht selten in einer unterschiedlichen Behandlung durch die Ärzte. Ein Hinterfragen oder der geäußerte Wunsch nach mehr Unterstützung scheinen nicht sonderlich erwünscht. So viel zum "mündigen Patienten".

 

Intuitiv könnte man meinen, diese problematischen Sichtweisen auf das Reizdarmsyndrom würden hauptsächlich durch Unwissen verursacht und seien deshalb spezifisch bei Allgemeinmedizinern verbreitet. Doch weit gefehlt! In der oben zitierten Studie äußerten ausgerechnet Gastroenterologen die abwertendsten Einschätzungen. Motto: Haben Sie nicht mindestens einen Morbus Crohn, sind Sie auch nicht krank ... 

 

Doch wo und wann entstehen diese Vorurteile gegenüber Reizdarm-Betroffenen eigentlich? Sind diese wirklich Folgen wissenschaftlicher Recherchen und konflikt-beladener Patientenkontakte? Wohl eher nicht. 

So konnte erst kürzlich wieder eine Studie demonstrieren, dass Medizinstudenten bereits in den ersten Semestern die Meinung innehaben, das Reizdarmsyndrom sei eine "weniger reale und eher übertriebene Erkrankung" (Henick et al.,2023). Die angehenden Ärzte teilten damit schlicht und ergreifend die Vorurteile und Stigmata der Allgemeinbevölkerung gegenüber RDS-Patienten (Hearn et al.,2020Taft et al.,2017). 

Auch ein fortschreitender Wissenserwerb im Studium und vermehrte echte Patientenkontakte reichten übrigens nicht aus, um die bestehenden Vorurteile zu beheben. 

 

Schließlich muss noch ergänzt werden, dass auch noch im Jahre 2018 ausnahmslos alle in einer Studie befragten Ärzte der Meinung waren, beim Reizdarmsyndrom handele es sich primär um eine psychologische Erkrankung (Bradley et al.,2018). Ich wiederhole es für Sie noch einmal: ALLE! 

Ein relativ großer Teil war sogar der Ansicht, der Reizdarm sei psychogen - also habe rein psychische Ursachen (ein Urteil, das wir Psychologen so nicht einmal über Erkrankungen wie die Depression oder Angststörungen fällen würden). Andere meinten, es gäbe wohl durchaus organische Faktoren, die aber durch psychologische Variablen moderiert würden. Fazit ist aber, dass es eine deutliche Schlagseite bei den behandelnden Ärzten gab, die absolut der wissenschaftlichen Evidenz widerspricht. 

 

Hohe Unsicherheit befördert starke Meinungen

Besonders bitter werden die obigen Befunde, wenn ich Ihnen nun noch mitteile, dass die Ärzte in nahezu allen relevanten Befragungen zugaben, eher unsicher bis sehr unsicher bei der Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms zu sein. Auch bezüglich der möglichen Ursachen und Pathomechanismen waren die Mediziner eher unentschieden

Und dennoch oder vielleicht sogar gerade deshalb suchen die Ärzte die Erklärung für die Beschwerden der Patienten und das Versagen ihrer erlernten Methoden in der Persönlichkeitsstruktur und Psyche der Patienten. Ganz ähnlich wie in anderen Bereichen unseres Lebens: Wo man sich nur wenig auskennt, tendiert man zu besonders festen Ansichten. Das geht mir, obwohl ich mich im Studium viel mit kognitiven Fehlschlüssen beschäftigt habe, ganz genauso. Der relevante Unterschied ist 

aber, dass dadurch (hoffentlich) niemand Schaden nimmt. 

 

Entnervte Ärzte und bockige Patienten mit Darmbeschwerden

Bis zu diesem Abschnitt meines Artikels könnten Sie vielleicht das Gefühl bekommen haben, dass ich die vereinte Ärzteschaft zum Prügelknaben der Patienten machen möchte. Doch nichts liegt mir ferner als das (obwohl ... nur Spaß!) 

Zuerst einmal möchte ich hierzu feststellen, dass es natürlich ganz wunderbare Ausnahmen von den oben geschilderten Umständen gibt. Auch in Deutschland kümmern sich zahlreiche Mediziner hingebungsvoll um uns Reizdarm-Patienten, kämpfen an unserer Seite und versuchen uns eine Stimme zu geben. 

Außerdem glaube ich an das Gute im Menschen. Kein Arzt verweigert seinen Patienten aus Boshaftigkeit die effektivsten Therapien und Behandlungsansätze.

 

Von den lieben Medizinern, die ich zu meinen Freunden zählen darf, weiß ich allerdings, wie stressig deren Alltag ist und wie sehr der Anspruch vieler Patienten sie überfordern kann. Wir sollten nie vergessen, dass Ärzte auch nur Menschen sind - ihr Tag hat auch nur 24h, sie haben Familien, Hobbies, Stress und auch mal schlecht geschlafen oder miese Laune.

Und: Sie wurden darauf trainiert, spezifische Krankheiten nach einem weitestgehend festgelegten und erprobten Muster zu behandeln [Prüfe A -> wenn positiv, gib B -> wenn keine ausreichende Besserung ...] Damit diese Heuristiken funktionieren, müssen die Erkrankungen aber einen bestimmten Charakter aufweisen und eine relativ inkomplexe Pathogenese bzw. Pathophysiologie. Bestes Beispiel: Infektionserkrankungen oder "klassische" organische Erkrankungen mit halbwegs bekannten Krankheitsvariablen. 

Ein Grund, warum die Ärzte den Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa mehr Empathie entgegen bringen als jenen mit einem Reizdarmsyndrom ist, dass erstere deutlich leichter zu behandeln sind - es existieren zahlreiche effektive Behandlungsmethoden und zur Not überweist man sie in eine Spezialklinik. Selbst die Medizinstudenten aus der oben zitierten Befragung wissen um diesen Unterschied bei der Effektivität vorhandener Therapieoptionen - umso interessanter, dass sie den Reizdarm dennoch für "weniger real" halten ... Aber sei´s drum! 

 

Jahrzehntelang funktionierte die ärztliche Versorgung relativ gut. Die Ausbildung und Kenntnisse der Mediziner passten zu den Anforderungen der Patienten und der Gesellschaft. Doch seit vielen Jahren suchen immer mehr Menschen den Rat der Ärzte, die nicht in das alte Muster zu passen scheinen. Es handelt sich um Patienten mit komplexen somatischen Syndromen, teils massiven Beschwerden, aber nicht-eindeutigen Laborbefunden. Viele von ihnen sprechen nicht auf die althergebrachten symptomatischen Therapien an. Diese Patienten haben oft Diagnosen wie ...

  • Reizdarmsyndrom und Reizmagen
  • Chronisches Erschöpfungssyndrom
  • Fibromyalgie
  • Mastzellaktivierungssyndrom 

Die Lebensqualität dieser Betroffenen ist absolut im Keller, ihre Arbeitsfähigkeit, Beziehung etc. häufig in Gefahr. Dementsprechend erwarten sie schnelle und wirksame Hilfe von ihren Ärzten. Bleibt diese aus, können sie schon einmal fordernd, unhöflich oder pampig werden. Und insbesondere wenn sie das Gefühl haben, nicht ernst genommen zu werden, kann ich das auch verstehen. Doch damit ist niemandem wirklich geholfen. 

Was ich inzwischen sehr häufig beobachte, ist ein "blame-game" zwischen den Ärzten und ihren Patienten. Letztere bezichtigen die Mediziner der Inkompetenz bzw. des Unwillens, erstere machen es sich einfach, indem sie pauschal alle Patienten als Neurotiker abstempeln, die sich einfach nicht so zimperlich anstellen sollen. Das glauben Sie nicht? Dann lesen Sie sich mal einige der oben zitierten Interviewstudien im Original durch! 

 

Meine Empfehlung für Sie: Raus aus den Arztpraxen, hinein in Ihre ganz persönliche Heilpraxis!

Wissen Sie, wer meiner Erfahrung nach die größten Erfolge bei der Heilung des Reizdarmsyndroms erzielt? Es handelt sich ausgerechnet um jene Patienten, denen es gelingt, sich frühzeitig aus der Ärzteodyssee zu befreien und selbst Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. 

Das mag vielleicht erst einmal zynisch oder polemisch klingen, doch ich kann für diese Behauptung nicht nur auf zahlreiche Akten eigener Klienten zurückgreifen, sondern auch auf die Mails hunderter Leser und Zuschauer. Das entscheidende Momentum bei der Reizdarm-Behandlung entsteht, sobald die Betroffenen erkennen, dass sie selbst aktiv werden müssen. Und die Hoffnung auf einen "besseren" Arzt oder Therapeuten mit einer besseren Wunderpille oder der alles aufklärenden Untersuchungsmethode blockiert diese Erkenntnis und letztendlich auch den Therapieerfolg. 

 

Bei den mikrobiom-assoziierten Erkrankungen sind Lebensstilinterventionen nachweislich das Mittel der Wahl, um das überforderte Immunsystem zu beruhigen, die Darmflora zu regenerieren und dadurch die Beschwerden zu lindern. Diese holistischen und natürlichen Behandlungsansätze sind nicht nur kostenfrei und nebenwirkungsarm, sondern tatsächlich auch deutlich effektiver als symptomatisch-wirksame Medikamente. Einige Beispiele gefällig? 

  1. Eine Fastentherapie erzielte deutlich stärkere Linderungen von mehr Reizdarm-Symptomen als eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie (Kanazawa & Fukudo,2006). 
  2. Eine tägliche Yoga-Routine war einer Loperamid-Gabe bei der Kontrolle von Durchfällen ebenbürtig (Taneja et al.,2004). Erstere hatte aber weniger Nebenwirkungen und verbesserte die parasympathische Aktivierung signifikant (=weniger Stresserleben). 
  3. Eine Low-FODMAP-Ernährung war der Gabe von Spasmolytika (Medikamenten, welche die glatte Muskulatur von Magen und Darm entspannen) bei der Verbesserung von Bauchschmerzen und Blähungen überlegen (Carbone et al.,2022). Gleichzeitig berichteten die Probanden weniger Nebenwirkungen mit der Diät und behielten die Behandlung dauerhaft bei. 

Allein mit diesen wenigen Beispielen verfügen Sie über drei hocheffektive Behandlungskonzepte, welche den am meisten verordneten Reizdarm-Medikamenten deutlich überlegen sind (Spasmolytika & Loperamid). Stellen Sie sich nur einmal vor, was Sie erreichen könnten, wenn Sie nun diese Interventionen miteinander kombinieren würden, wie ich es in meinem Buch beschreibe - eine mediterrane Low-FODMAP-Diät, ergänzt durch regelmäßiges (Schein-)Fasten und eine kurze morgendliche Yoga-Routine. Ich verspreche Ihnen nicht weniger als einen Jubelschrei von Ihrem Magen-Darm-Trakt! 

 

Von Ihrem Arzt hingegen sollten Sie aber in der Regel keine derartige Therapieempfehlung erwarten. Das hat in erster Linie mit den oben beschriebenen Ideen und Konzepten der Mediziner über unsere Erkrankung zu tun. Ein Großteil der Ärzte glaubt (und zwar entgegen jeglicher wissenschaftlicher Evidenz), dass es sich beim Reizdarmsyndrom um eine primär psychische Erkrankung handelt. Wundert es Sie also wirklich, dass es Bestrebungen gibt, mehr Psychotherapie anstatt mehr Fasten, Low-FODMAP, Glutamin oder Mastzellstabilisatoren zu verordnen? Als jemand, der psychotherapeutisch arbeitet und sich intensiv mit der Kognitiven Verhaltenstherapie beim Reizdarmsyndrom beschäftigt hat, kann ich Ihnen sagen: Möchten Sie lernen mit Ihren Durchfällen und Bauchschmerzen zu leben oder besser mit diesen umzugehen, dann suchen Sie sich einen guten Psychotherapeuten. Möchten Sie diesen blöden Kram stattdessen lieber loswerden, versuchen Sie es lieber mit Fasten, Glutamin, Quercetin, stärkearmer Ernährung und Co.! 

 

Hinzu kommt die enorme Überforderung der Ärzte mit einer so komplexen Erkrankung. In einer deutschen Erhebung konnte gezeigt werden, dass gerade einmal 18% der befragten Allgemeinmediziner validierte Diagnosekriterien (z.B. ROM) nutzten (Franke et al.,2009). Weder relevante Erkrankungsmodelle (wie und warum entsteht ein Reizdarm), noch grundlegende Therapieansätze waren den Allgemeinmedizinern ausreichend bekannt. 96% der befragten Ärzte managten ihre Patienten mit RDS medikamentös und damit, wie oben geschildert, wenig effektiv und nicht ursächlich. 

 

Das klingt vielleicht niederschlagend und sagt so einiges über unser westliches Gesundheitssystem. Doch ich habe auch noch eine durch und durch gute Nachricht für Sie: Alle relevanten Tests, Behandlungsverfahren, Diäten usw., die nachweislich gegen den Reizdarm helfen, können Sie auf eigene Faust und oft auch kostengünstig durchführen. Das erfordert manchmal ein bisschen Denkakrobatik oder Anstrengung - aber es lohnt sich, wie die vielen Erfolgsgeschichten meiner Leserinnen und Leser zeigen. 

 

Deshalb: Raus aus den Wartezimmern und hinein in die Küchen und Kursräume. Ihr Reizdarm IST heilbar, wenn Sie es nur wirklich wollen und bereit sind, dafür auch den ein oder anderen Schritt zu tun. Wo und wie Sie dabei beginnen können, zeige ich Ihnen ausführlich in meinem Buch (es ist auch kostenfrei in vielen Bibliotheken zu lesen) oder auf meinem Hauptblog Reizdarm-Therapie

 

Ich wünsche Ihnen dabei von ganzem Herzen maximale Erfolge

Ihr Thomas Struppe

 

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